Rede zum Haushalt 2023

von Markus Nüchtern, Fraktionsvorsitzender

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Rates,

sehr geehrte Mitglieder der Verwaltung,

sehr geehrte Damen und Herren,

die Zeiten sind ungewöhnlich. Kaum hat uns die eine Krise durch den Vordereingang verlassen, kommt die nächste durch die Hintertür hinein. Ehemalige Kriegsdienstverweigerer können heute den Bewaffnungsgrad und die Effizienz von Flugabwehrraketensystemen und Kampfpanzern rauf und runter beten. Alt-Jusos zelebrieren den marktliberalen Doppel-Wumms, mehr oder weniger ehrenhaft ergraute Jung-Unionisten üben sich in altgrüner Rhetorik. Es sind große Zeiten für Sprachwissenschaftler, die sich mit politischen Codes und Chiffren beschäftigen, hinter denen sorgfältig die Wahrheit und nichts als die Wahrheit versteckt worden ist.

So ist es in Berlin, so ist es in Siegen. Jeder, der auf sich hält, erfindet oder benutzt Worthülsen für unangenehme Wahrheiten, die man Normalbürger und Normalbürgerin nicht zumuten will. Eine dieser modernen Worthülsen heißt Corona-Isolierung. Dahinter verbirgt sich auch in unserem Haushalt die vom Land gewährte Chance, Schulden nicht mehr so aussehen zu lassen, als wenn man sie noch zurückzahlen müsste, zumal nur zum kleineren Teil in der Restlebenszeit der Ratsmehrheit. Ohne die Coronaisolierungen wären wir schon nicht mehr handlungsfähig. Wenn wir alle Projekte im Haushalt auch tatsächlich umsetzen würden – dann steckten wir noch tiefer in der Klemme. Zum Glück basiert dieser Haushalt nicht auf Haushaltsklarheit, sonst würden wir bei kritischen Fragen Schwierigkeiten haben. 

Verzeihen Sie den Pessimismus, der uns bei der Lektüre des Haushaltes befällt. Ein ganz normaler Bürger, eine ganz normale Bürgerin hat so überhaupt keine Chance, sich ein zutreffendes Bild über die Planungen des Jahres 2023 zu machen. Das ist kein seriöser Umgang mit interessierten Bürgern.

Der Bürgermeister hat in seiner Haushaltsrede betont, dass das Haushaltsjahr 2023 in die Geschichte der Stadt Siegen eingehen wird, weil der Haushalt ausgeglichen ist und die Stadt damit die Haushaltssicherung verlässt, in der sie seit 1994 eingezwängt war. Vergessen dürfen wir aber nicht, dass erhebliche Mehraufwendungen, die aus der Coronakrise sowie der Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung resultieren, im Haushalt isoliert werden dürfen, so sieht es das Gesetz vor. Damit und auch mit weiteren Unwägbarkeiten hängt der Haushaltsausgleich an einem seidenen Faden.

Die Gewerbesteuer, lange Jahre ein Sorgenkind auf der Ertragsseite, wird für 2022 auf über 80 Mio. € taxiert. Dies ist wirklich erfreulich und trägt entscheidend zum Haushaltsausgleich bei. Wenn es den Unternehmen gut geht, gibt es logischerweise gute Einnahmen für die Stadt, welche den Gestaltungsspielraum für die Verwaltung und die Lokalpolitik erhöhen. Deshalb ist es für uns als FDP umso wichtiger, die heimischen Unternehmen zu halten (Stichwort Bestandspflege) und durch Ausweisung von Industriegebieten neue hinzu zu gewinnen. Ein gutes Beispiel sind die Firmenansiedlungen im Leimbachtal. Auch die Verbesserung der wirtschaftsrelevanten Infrastruktur ist in dieser Hinsicht von enormer Bedeutung.

Es sollte aber keinesfalls ausgeblendet werden, dass durch die Folgen des Angriffs auf die Ukraine die Energiepreise durch die Decke gegangen sind. Ein Unternehmen mit sechs Prozent Umsatzrendite und Energiekostensteigerungen in Höhe von 20 Prozent wird es schwer haben, Gewerbesteuer zu erwirtschaften. Unternehmen, deren Kunden nach Corona gerade erst zurückkommen, werden sich auch im kommenden Jahr schwertun. Was können wir froh sein, wenn die befürchtete Rezession nicht kommt! Das könnte uns davor retten, in diesem Jahr einen Absturz um zwanzig, dreißig Millionen Euro zu erleben. Sicher ist das jedoch noch lange nicht.

Natürlich warnt der Kämmerer vor den verbleibenden Risiken – und das zu Recht. Angefangen beim schwarzen Schaf unserer kommunalen Familie, dem Kreis Siegen-Wittgenstein, der sein Himmelbett mit Siegener Euros polstert. Vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, die Doppelstrukturen in den Haushalten abzubauen. Wir leisten uns eine eigene Bauaufsicht und zahlen für die des Kreises mit, dasselbe gilt für die Ausländerbehörde und die VHS. Alternativ dazu könnte man ja mal über gemeinsame Strukturen mit der Stadt Kreuztal sprechen, die ja mit dem Kreis in Sachen Jugendamt auch nicht so ganz übereinstimmt. Bürokratieabbau bleibt das Gebot der Stunde.

Die Höhe der Kreisumlage ist und bleibt ein Ärgernis sondergleichen. In den letzten 10 Jahren ist diese um über 20 Mio. € gestiegen. Diese Art und Weise, kommunale Solidarität zu üben, ist verwerflich. Die finanzielle Lage der Kommunen wird überhaupt nicht berücksichtigt, im Gegenteil. Herr Kämmerer, wenn Sie den Rat um Zustimmung zu einer Klage gegen den Kreis bitten: Unser Ja dazu bekommen Sie. Das Maß ist wirklich voll.

Zur Wahrheit gehört auch, dass sich zum größten Ausgabeposten die Personalkosten entwickelt haben und zwar auf rund 85 Mio. € in 2023. Damit ist das Personalbudget innerhalb der vergangenen 10 Jahre um gut 20 Mio. € gestiegen. Hierbei sind zwar die Zunahme der Pflichtaufgaben und Tarifsteigerungen zu berücksichtigen. Aber wir müssen auch im Bereich der freiwilligen Aufgaben das eine oder andere Mal auf die Bremse treten. Die Schaffung und Besetzung vieler neuer „Beauftragter-Funktionen“ (z.B. Digitalbeauftragter, Klimabeauftragter usw.), die in der Regel gut dotiert sind, müssen hinterfragt werden, zumal damit das Gegenteil von Bürokratieabbau erreicht wird.“

Weiter haben wir die Unsicherheiten beim kommunalen Einkommenssteueranteil im Blick, die Entwicklung der Flüchtlingssituation mit ihren unabweisbaren Konsequenzen für den städtischen Haushalt, die Unsicherheiten bei der künftigen Energiekostenentwicklung. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Das nächste und alljährlich nicht zu unterschätzende Risiko ist die Euphorie einiger Ratskollegen, immer neue Dinge zu beschließen, die mal wenig, mal viel Geld kosten, aber eher auf die Galerie gemünzt sind. 

  • Damit sind wir bei der Hallenbadfrage. Für die FDP-Fraktion ist ein Schwimmangebot in Siegen unverzichtbar. Bei der Frage, ob wir einen oder zwei Bäderstandorte brauchen, ist uns der Bausachverständigensenat der CDU-Fraktion zuvorgekommen, der mit seiner kompletten Kompetenz das Eiserfelder Hallenbad zwischen Mittagsschlaf und Abendbrot unter- und durchsucht hat. Wir haben hier vom Spielfeldrand einen Anflug von Bewunderung verspürt. Die Bewertung der Funktionsfähigkeit des Hallenbades Eiserfeld sollte man tunlichst dem Bausachverständigen überlassen.
  • Wir sind bei der Bunkerfrage. Ein weiteres Beispiel dafür, wie man sich im Rat beeinflussen lassen kann, wenn nur genug Lobbydruck von außen kommt. Ja, wir brauchen das Siegerlandmuseum mit neuem Konzept. Aber anders, weil es so nicht funktioniert. Stichwort Generationengerechtigkeit. 

Häufig verhungern Bürgerinnen und Bürger in Siegen am langen Arm der Stadtkommunikation – und damit meine ich nicht die ausführenden Mitarbeiterinnen in der Verwaltung, ich meine die Vorgaben.

Ein schönes Beispiel ist unabhängig von der politischen Meinung unser Bürgerentscheid. Wir haben eine Schülerklientel, die essenziell von einer guten und professionellen Unterstützung abhängig ist, nämlich die im Deutschen nicht sattelfesten Kinder von Eltern, die ebenfalls nicht besonders gut Deutsch sprechen. Bei ihrer Entscheidung über das Siegener Schulsystem werden diese Menschen städtischerseits mit Formulierungen traktiert, die auch für deutsche Muttersprachler schwer verständlich sind. Man kann es auch anders formulieren: Dieser Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern ist eine Zumutung, er ist absolut unangemessen. Und er entspricht in keiner Weise der Neutralitätspflicht, der die Verwaltung nach dem Beamtenrecht unterliegt. Was würden Sie, die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und Volt aufheulen, wenn eines Ihrer Anliegen auf so unmissverständlich missverständliche Weise in die Öffentlichkeit getragen würde?

Dieser Haushalt ist bei allem Optimismus perspektivisch ein riskantes Abenteuer, aber niemand gebraucht in diesem Zusammenhang die Begriffe Generationengerechtigkeitund schon gar nicht den der Haushaltsklarheitvor allem nicht im Hinblick auf Herausforderungen an künftige Zurückhaltung. Diese Begriffe werden sorgsam umschifft, weil sie auf die Tatsachen weisen und nicht politische Ziele legitimieren sollen. Und die Kinder, die wir heute mit den Ergebnissen der Jugend- und Schulpolitik traktieren, können froh sein, wenn sie kurz vor ihrem Renteneintritt die Schulden abbezahlt haben, die wir heute anhäufen. Das ist das traurigste Ergebnis einer ernüchternden Bestandsaufnahme.

Wir sehen eine Verwaltung, die strukturell noch lange nicht so weit ist, wie man es der Öffentlichkeit zu suggerieren versucht, die im Digitalen noch unendliche Weiten vor sich hat. Wenn Unternehmen so wirtschaften würden wie der öffentliche Sektor, dann läge unsere Gewerbesteuer knapp über Null.

Wir täten gut daran, ein wenig mehr Bescheidenheit und Solidität zu pflegen, zu überlegen, was für unsere Stadtgesellschaft das Wesentliche ist und worauf man verzichten kann, weil andere es besser können. Denn eines ist ganz klar: Wir werden in Zukunft verzichten müssen. Heute haben wir noch die Wahl auszusuchen, worauf wir verzichten können.  Wenn wir heute nicht handeln, haben wir irgendwann keine Wahl mehr.

Unser Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kämmerei sowie all denen, die die Aufstellung des Haushaltsplanentwurfes 2023 begleitet und die politischen Beratungen unterstützt haben. Danken möchte ich aber auch der Verwaltung insgesamt für die geleistete Arbeit im zurückliegenden Jahr.

Obwohl wir als FDP-Fraktion nicht alle im Haushaltsplan vorgesehenen Maßnahmen inhaltlich teilen, stimmen wir dennoch dem Gesamthaushalt der Stadt Siegen für 2023 zu.

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