Was bedeutet der Begriff „Nudging“ und wie lassen sich damit die geringen Anmeldezahlen an Haupt- und Realschulen in diesem Jahr in Siegen erklären

(Redaktioneller Beitrag von Dr. Magdalena Grzonka, aus der Rubrik „Kommentare unserer Mitglieder“)

Sowohl staatliche als auch private Akteure benutzen dieses Verfahren. So gibt es im deutschen Kanzleramt die Gruppe „wirksam regieren“. 

Nudging ist ein Begriff der Verhaltensökonomie, der durch den Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein 2008 geprägt wurde: Unter einem Nudge verstehen die Autoren eine Methode, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen, ohne dabei auf Verbote und Gebote zurückgreifen oder ökonomische Anreize verändern zu müssen.[1] 

Dahinter steht jedoch ein fragwürdiges Menschenbild: Da der Mensch nicht immer in der Lage sei, die optimale Entscheidung zu treffen, sollte er zu gewünschten Verhaltensweisen geleitet werden. 

In ihrem Buch plädieren die Autoren für einen „libertären Paternalismus“: Ausgehend von der Erkenntnis, dass menschliche Entscheidungen nur begrenzt rational seien sowie stets auch durch ihren Bezugsrahmen beeinflusst würden, sollten die Institutionen, die den Kontext beeinflussen können, dies auch tun, um das Gemeinwohl zu fördern. Diese „paternalistische“ Beeinflussung von Menschen wird dabei insofern als libertär bezeichnet, als dem Objekt des Nudging jederzeit die Möglichkeit offen gelassen werde, sich gegen den Weg zu entscheiden, auf den es „gestupst“ wird.[2]

Doch merkt man, wenn man genudged wird, und wer definiert die gewünschten Verhaltensweisen?

Meist merken wir diese Art der Manipulation nicht sofort:

Warum wird zum Beispiel in einem Kantinenbuffet Obst in Griffnähe präsentiert und Süßes hinten oder umgekehrt?

Warum soll bei der Organspende eine Widerspruchsregelung gelten?

Im Marketing von Firmen hat Nudging schon lange einen festen Platz. Aber auch Krankenkassen und Arbeitgeber nutzen dieses Tool und zunehmend auch Regierungen. 

2010 setzte die britische Regierung ein Behavioural Insights Team ein, um Möglichkeiten zu etablieren, die Nudge-Therorie zur Verbesserung der Regierungspolitik und staatlicher Dienstleistungen einzusetzen. 2015 wurde die Arbeitsgruppe „wirksam regieren“ initiiert, die die Bundesregierung berät, wie sie das Volk psychologisch richtig lenken kann.[3] 

Kritik ergibt sich bereits aus der Annahme, dass menschliches Verhalten per se irrational sei. Von rechtswissenschaftlicher Seite wird vor allem der paternalistische Aspekt moniert, da insofern in Grundrechte eingegriffen wird, indem die freie Wahl und Entscheidung eines selbstbestimmten Individuums nicht respektiert wird. Nudges lassen sich nur schwer mit demokratischen Grundprinzipien vereinbaren, unter anderem, weil Nudges keine Handlungsgründe offenbaren. Im Gegensatz zu klaren Handlungsverboten läßt sich gegen Nudges rechtlich auch nur schwer vorgehen.

Wir sollten daher alle ein Gespür dafür entwickeln, wann wir gestupst werden.

1. Richard Thaler, Cass Sunstein: Improving decisions about health, wealth and happiness. Penguin, New York 2008, ISBN 978-0-14-311526-7, S. 6.

2. https://www.die-debatte.org/nudging-was-steckt-hinter-begriff-nudging/

3. https://www.deutschlandfunkkultur.de/impressum-112.html

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